Montag, 8. Juni 2015

DYN im Gespräch

Im Blickwinkel eines Friedrichshainer Industrieareals findet sich Aufgang B. Eine Eisentür führt vom Hinterhof trepp- abwärts in das Kellerlabyrinth, wo sich vorwiegend Punk- & Metalbands die Klinke in die Hand geben. Das von anarchis- tischem Kugelschreiber mit langweilig! bekritzelte Konzertposter zu Ryan Sambol (ex-The Strange Boys) lässt DYN wie die musikalischen Ausreißer dieses Komplexes wirken, in dessen Gemäuer sich einst der Proberaum von Rammstein befunden haben soll.

Mittlerweile kennt ihr euch 14 Jahre, die Band gibt es seit über fünf Jahren. Könnt ihr euch überhaupt noch leiden?

Carl_Ja, schon. Mehr muss man dazu auch eigentlich nicht viel sagen.

Tilman_Das ist wie bei einem alten Pärchen: Man weiß Sachen, die man vielleicht lieber nicht anspricht – manchmal aber trotzdem anspricht – man weiß aber auch, dass man sich bei manchen Sachen einfach blind versteht. Vieles Musikalische beruht auf blindem Verständnis, darüber muss nicht mehr großartig gesprochen werden. Aus der Phase sind wir raus. Das funktioniert zu zweit halt auch ganz gut. Jeder macht so ein bisschen sein Ding, das dann aufeinander prallt und schlussendlich zu DYN verschmilzt. 

Diese Fusion benötigt relativ kurze Zeit. „Death Of Love“ zum Beispiel war fertig nach zwei Proben, die Post Tempus EP nach drei Tagen. Die Chemie scheint also zu stimmen, bloß: Was definiert sie?

T_Gegenseitige musikalische Erziehung. Seit wir mit 14 die Beatles entdeckt haben, hören wir die gleiche Musik. Es ist natürlich nicht so, dass wir die Musik, die wir hören, eins zu eins zu DYN umsetzen, aber das beeinflusst auf jeden Fall.

C_Alle Bands, die man gut findet oder viele, die man nicht mehr gut findet, haben wir eigentlich zusammen entdeckt oder uns gegenseitig gezeigt und einfach viel zusammen Musik gehört. Das entwickelt natürlich ein inniges Gespür für die Musik, worauf man bei einem Song besonders Augenmerk legt. Das ist ziemlich ähnlich bei uns ausgeprägt und fügt sich ganz gut dem Prozess an, einen Song selber zu schreiben.

Worauf legt ihr denn besonders Augenmerk? Man sagt, es sei genauso schwierig, ein Buch zu lesen wie zu schreiben. Lasst uns das mal auf Musik übertragen. 

T_Die Art, wie der Song aufgenommen ist, zum Beispiel. Jemand, der keine Musik macht, muss sich nie Gedanken darüber machen, wie ein Song aufgenommen wird oder wie etwa das Schlagzeug klingt. Aber wer Musik macht, wird sich darüber Gedanken machen müssen, wenn er auf- nehmen will. Als wir an diesem Punkt angelangt sind, haben wir uns damit auseinandergesetzt und sind auf Lo-Fi gestoßen. Das hat uns einfach total angemacht. „Tonight“ von den Smith Westerns ist so ein Paradebeispiel dafür. Hätte man den Song ganz normal aufgenommen, hätte den wahrscheinlich keiner auf dem Schirm. Aber die Art und Weise der Aufnahme vom Album bringt den Song komplett anders rüber. Und auf so etwas achten wir, wenn wir Musik machen bzw. anhören. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den aber viele Leute nicht verstehen oder unter einem anderen Gesichtspunkt sehen. Lo-Fi ist ein Parade- beispiel für Rock-Musik. In dem Moment, da die Aufnahme nicht perfekt klingen muss, bricht Lo-Fi mit dem Mainstream. Es geht darum, dass etwas abgefuckt klingt und trotzdem Musik dabei rüber kommt. Das hat nichts damit zu tun, dass man sich keine Mühe gibt, sondern klingt abgefuckt aus Kalkül. Hier steht Hörästhetik über musikalisch-handwerklicher Leistung.Kein Popschutz vor dem Mikrofon: Das ist solch ein Stilmittel in Bezug auf den Gesang. Würde man unsere Lieder niederschreiben, wären sie, rein von dem, was dann auf dem Blatt stünde, ganz schön langweilig. Damit könnten wir nirgendwo einen Blumentopf gewinnen. Aber wenn man die Songs bei Aufnahmen und Konzerten so rüber bringt, wie wir intendiert haben, dass sie klingen, ist das eine ganze andere Welt. Das Album ist komplett live eingespielt, anders sind wir das gar nicht gewohnt. Wenn wir Musik machen, ist das etwas, das natürlich zwischen uns beiden entsteht. Unsere Lieder sind nicht mit Pro Tools am Mac zusammengeschraubt.

Wo steht ihr musikalisch im Moment?

C_Wir haben einen kleinen größeren Schritt vorgenommen und ange- fangen, einen Drumcomputer zu verwenden. Ein, zwei, drei neue Songs gibt es schon mit Hinblick auf ein zweites Album.

T_Außerdem besitzt Carl ein neues Effektgerät, damit klingt die Gitarre auch wieder ganz anders. Dementsprechend klingt DYN nicht mehr so wie auf dem Album. Nach den 60ern und 70ern sind DYN jetzt quasi in den Neunzigern angekommen. Ein anderes Instrument oder Effektgerät ist für uns immer ein musikalischer Evolutionsschritt. Vorsprung durch Technik, wie bei Audi.

Laut Holger Czukay (Can) besteht die Kunst darin, „technische Nachteile auf musikalische Vorteile umzumünzen. Wenn du das schaffst – dann ist gut.“ Könnt ihr das unterschreiben oder nicht?

C_Die LoFi-Attitüde, die wir immernoch vertreten bzw. früher ausgeprägter, rührt ein bisschen aus der Richtung. Unsere Gesangs- anlage zum Beispiel haben wir schon lange vor Delta Love. Die ist mittlerweile richtig krötig, aber man hat sich daran gewöhnt und die würde man ungern eintauschen.

T_Ich denke, dass er das anders meint. Dass er gar nicht die Technik anspricht, mit der man Songs aufnimmt, sondern vielmehr die Technik des Spiels an sich. Ich glaube, es geht eher darum, ob man ein guter Musiker ist, selbst wenn man nicht gut Gitarre spielen kann. Und das muss man eindeutig unterschreiben. Gute Musik entsteht nicht dadurch, dass ich eine teure Gitarre besitze oder zehn Jahre Gitarrenunterricht hatte und alle Killer-Licks von Metallica spielen kann – und zwar fehlerfrei – sondern, weil etwas aus einem selbst herauskommt. Egal, ob das nun 32 Noten in einer Viertelsekunde sind oder ob es nur eine Note ist, die über eine Minute gehalten wird. Da ist mir Zweiteres auf jeden Fall sympathischer, und musikalischer. Metal zum Beispiel ist für mich Mathe. Oder es gibt ja auch Math- Rock mit seinen komisch-berechneten Taktarten – 7/8, 9/8 – so lässt sich ein Lied arrangieren, aber Musik ist definitiv etwas anderes.

Eure unterschiedliche Interpretation des Zitates lässt recht gut erkennen, wer von euch beiden in Musik- & Medienwissenschaften bzw. Elektrotechnik bewandt ist. Als das ein oder andere deutsche Label Interesse zeigte, fiel eure Wahl schlussendlich auf 8MM Musik. Warum?

T_Ausschlaggebender Grund war, jemanden vor Ort zu haben. Es war uns wichtig, mit dem Label persönlich in Kontakt stehen zu können. Mit Smoky Carrot Records aus London war der Kontakt super schwerlich.

Letzten Monat habt ihr auf dem Austin Psych Fest debütiert. Wie ist euch diese Erfahrung in Erinnerung geblieben?

T_Anfangs war unklar, ob wir überhaupt spielen können. Zeitgleich zu unserem Set herrschte Warnung, dass gleich ein Unwetter über das Festival hereinbrechen soll. In der Ferne sah man schon die Blitze am Firmament, es glich ein bisschen einem Weltuntergangsszenario. Wäre es doof gelaufen, wäre ein Tornado über uns hinweggefegt. Letztendlich aber lief alles wie geplant. Das Problem ist, dass wir auf der Camping Ground Stage gespielt haben. Die Bühne gab es dieses Jahr zum ersten Mal und Zugang dazu hatten nur Camper, was ungefähr ein Zehntel ausgemacht hat von den Leuten, die auf dem kompletten Festival waren. Also nur ein Bruchteil. Dadurch konnten uns viele nicht sehen und die, die uns sehen wollten, durften nicht, weil sie nicht das nötige Bändchen hatten. Das ist im normalen Ticketpreis nicht inkludiert und kostet zusätzlich. Das war natürlich schade.

Als musikalischen Auslöser nennt ihr „das blaue Album“ der Beatles. Man nehme Kurt Vonnegut, Daniel Johnston oder Rufus Wainwright: „Beethoven hat einmal gesagt: „Was vom Herzen kommt, geht zum Herzen.“ Das kann man von der Musik der Beatles auch sagen. Sie dreht sich nur um Emotionen. (…) Beatles-Musik dreht sich darum. Das ist das Typische daran.“ Was bedeuten die Beatles euch persönlich?

T_Die Beatles waren so die erste Band abseits von Chart-Musik, Limp Bizkit und The Offspring, die nicht Musik fabriziert haben in dem Jahrzehnt, in dem wir selbst aufgewachsen sind und die man gut finden konnte. Normalerweise verteufelt man aus einer kindischen Teenie-Haltung heraus das, was die Eltern so hören. Mit den Beatles aber haben wir realisiert, dass „alte Musik“ nichts Schlechtes heißen muss.

C_Der Song, den wir in Endlosschleife gehört haben, war Octopus's Garden. Die Melodie kam mir bekannt vor, dann fiel mir ein: Es gibt eine Episode der Sesamstraße, in der Kermit das Lied singt. Nach der blauen Compilation hat man sich durch die komplette Diskografie gehört – so viele Alben, so viel komprimiert, so viel verschiedene Musik und so viel gute Musik: Das war wie ein Film, den man quasi gehört oder gesehen hat.

T_Man hat ein Lied nach dem anderen entdeckt und jedes war gut auf eine andere, seine Art. Klassischer Rock'n'Roll, Beat-Geschichten, komplett daneben oder unterwegs auf der Popschiene wie „Drive my car“, was auch seinen Charme hat. Why don't we do it in the road, Helter Skelter, Back in the USSR zum Beispiel oder Abbey Road: Einminütige Lieder wölben sich ineinander und werden zu einem Einzigen, sodass das Ende quasi ein komplettes Stück ist.

Hildegard Knef übrigens hielt Queen für noch genialere Musiker als die „Fab Four“. Nachdem sich die Knef einem Facelift unterzogen hatte, kommentierte sie den Eingriff mit den Worten, so ein neues Gesicht müsse erst einmal wieder eingetragen, eingelacht, eingeweint werden. Habt ihr denn das Gefühl, dass DYN als neuer Bandname auch erst einmal wieder eingespielt bzw. erspielt werden muss? Bestimmt hat so ein Namenswechsel auch negative Auswirkungen.

C_ Nicht unbedingt. Für mich hat der Namenswechsel an sich relativ wenig Bedeutung. Man nennt sich zwar anders, aber Band-intern hat sich nichts verändert. Hätten wir zum Beispiel das Basspedal ersetzt durch einen Bassisten, dann könnte man vielleicht eher vergleichen mit dem Zitat von der Frau Knef. Aber so war es ja nicht.

T_Betrachtet man aber die Außenwirkung, dann auf jeden Fall. Genügend Leute haben den Namenswechsel komplett verschlafen, ver- mutlich schlief auch deren Interesse für die Band. Für die existiert zwar Delta Love, aber DYN hat es nicht in deren Kosmos geschafft. Für einen selbst ist das was komplett anderes. Man fängt eigentlich mehr oder weniger nochmal von Null an. Ich glaube, dass wir rein musikalisch in vielerlei Hinsicht einen neuen Anfang gemacht haben. Deshalb wollten wir auch einen Namen, der unbehaftet sein sollte. DYN hat (noch) keine Bedeutung, die bekommt der Name aufoktroyiert, indem er eingetragen wird. Damit „DYN“ eine Vorstellung hervorruft wie Delta Love es getan hat.

Warum überhaupt der Namenswechsel?

T_Im Prinzip war es ein Neustart und gleichzeitig die letzte Möglichkeit, sich umzubenennen. Unsere erste richtige Platte sollte unter einem Namen erscheinen, hinter dem wir hundertprozentig stehen. Das war bei Delta Love einfach nicht mehr der Fall. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen des Albums haben wir gemerkt, dass wir uns von dem Namen entfernt haben. Zwei Jahre zuvor, als wir noch bluesiger waren, passte Delta Love ganz gut. Damit war der Name aber auch schon wieder vorbelastet, indem das Delta sofort die Konnotation zum Mississippi-Blues herstellt und gewissermaßen darauf beschränkt. Außerdem wollten wir uns lösen von der Zeitgeist- assoziation des Dreiecks, seit dieses zum Accessoire von Hipstertum und Chillwave avanciert ist.

DYN an sich ist weder Abkürzung für noch Referenz an etwas. Irgendwoher muss das Wort jedoch stammen?

T_Grundidee war ein Name mit drei Buchstaben und einem Y in der Mitte. Nach allen möglichen Kombination sind wir bei DYN hängen- geblieben: Kurz, prägnant und unbehaftet. Ein wichtiger Punkt, der außerdem für DYN sprach, war die deutsche Note, die das Wort aus- gesprochen erhält. Das macht DYN quasi zur internationalen Version von „dein“, trotzdem scheinen aber vor allem die Amis Probleme mit dem Namen zu haben. Die sprechen DŸN mit Heavy-Metal-Umlaut aus.

Death Of Delta Love. Im Video zu besagter Single wird ein Moscow Mule mit Tschick serviert. Wem würdet ihr gerne mal was in den Drink hauen?

T_Ich würde gerne dem Sänger von Bass Drum Of Death Zyankali in seinen Bullenspermadrink mixen, weil er ein überhebliches Arschloch ist, den ich mal interviewt habe und sehr herablassend war und dachte, er wäre ein ziemlich großer Mensch, in Wahrheit aber so klein mit Hut.

C_Ich unterstütze Tilman und würde auch gerne mal dem Sänger von Bass Drum Of Death Zyankali in sein Bullenspermagetränk mixen.

Two boys, one cup & drei Gründe, die für eure Platte sprechen?

T_„DYN“ existiert als limitierte 500er-Auflage, davon 100 Exemplare als weißes Vinyl. Letztere sind schon vergriffen, ein, zwei schwarze Goldstücke gilt es noch zu ergattern. Die Fotografien auf Vorder- und Rückseite des Covers entspringen einer Unterwasserserie von David Collier. Auf speziellem, körnigen Papier gedruckt, sorgt die Plattenhülle für das haptische Erlebnis und spiegelt zusammen mit dem Artwork perfekt das Kolorit unserer Musik wider. Kurz gefasst: Sehen – Hören – Fühlen.